Tartanbahn

Über Rollrasen, Tartanbahnen und Geräteräume

Obwohl mir der Sportunterricht immer ein Graus war, spüre ich noch heute eine seltsame Faszination für Sportplätze und Turnhallen. Leere Tribünen, vergessene Trinkflaschen unter Sitzbänken, der grüne immer kurz gemähte Rollrasen, umfasst von roten Tartanbahnen. Alleine die Worte sind ein Vergnügen. Rollrasen, Tartanbahn. Spricht man letzteres immer wieder ganz schnell hintereinander aus, erreicht es eine gewisse Absurdität, die ihrer gummiartigen, noppigen, fedrigen Existenz gerecht wird.

Tartanbahn.
Tartanbahn.
Tartanbahn.
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Ich habe in der Schule oft mit fadenscheinigen Ausreden nicht am Sportunterricht teilgenommen. Irgendwas war immer. So verbrachte ich, statt schwitzend über Matten zu rollen, beim Völkerball als letzte gewählt und erste “abgeschossen” zu werden oder den Startschuss beim Sprint zu verpassen, lange Stunden meiner Jugend auf dem ledrigen Polster eines kleinen Sprungkastens am Rande der Halle, tagträumte und ritzte mit den Fingernägeln Muster in die Oberfläche.

Manchmal wurde man abgestellt den Geräteraum aufzuräumen. Von den Lehrern als Strafe aufgefasst, bereitete es mir immer eine gewisse Freude. Losgelöst von ihrem eigentlich Sinn, sind Sportgeräte für mich ähnlich reizvoll wie Schreibwaren. Bunte Bälle in hölzernen Kisten, sorgfältig aufgewickelte Bänder, abgegriffene, schwere Medizinbälle, Schrankfächer mit Kegeln, Klötzen und Seilen. Diese Dinge von A nach B zu räumen, die Basketbälle von den Gymnastikbällen zu trennen, achtlos in den Schrank geworfene Dinge an ihren Platz zurückzustellen, liess die Zeit schneller verfliegen. Allein die Staubigkeit der Räume und ihr Geruch nach einer Mischung aus altem Leder, Schweiss und Gummi sorgten dafür, dass man sich am Schluss fast genauso eklig fühlte, wie nach einer Doppelstunde Dauerlauf.

Im Sommer, auf dem Sportplatz, wurde man zur Beschäftigung neben der Tartanbahn, dem Sandkasten für den Weitsprung, oder dem Feld für den Weitwurf platziert. Massband, Stoppuhr und Klemmbrett in der Hand. Zeiten, Weiten und andere, bewertende Messgrössen in Tabellen notieren. Die Gegenstände alle wie aus einen anderen Jahrzehnt, retro. Aus der gleichen Zeit anmutend, wie die Idee, Schülerinnen und Schüler anhand ihrer körperlichen Leistung zu beurteilen.

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Ich bin Zeit meines Lebens nie mit einer Sportart warm geworden – weder passiv noch aktiv. Empfinde mich noch immer als der unsportlichste Mensch der Welt. Aber, immer wenn ich an einem verlassenen Sportplatz vorbeikomme, bleibe ich kurz stehen, fasziniert von Struktur, Farben und der sich über Jahrzehnte nicht veränderte Möblierung. Hinter dem Zaun entsteht ein Bild, ein Fotomotiv, ein Ort dessen gleichförmige Ästhetik mich ich immer wieder fasziniert.

 

28/08/2020

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